Die Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung ist ein „Handlungsrahmen“ zur Optimierung der psychischen Belastungssituation in einem Unternehmen. Mit psychischen Belastungen sind alle objektiv erfassbaren Einflüsse gemeint, die von außen auf den Menschen psychisch wirken. Es geht somit um die Arbeitsbedingungen und nicht um die psychische Verfassung der Beschäftigten. In diesem Handlungsrahmen werden zunächst je nach Art der Tätigkeiten jeweils psychische Belastungen und die damit verbundenen Gefährdungen ermittelt bzw. beurteilt. Ergeben sich Gefährdungen werden Maßnahmen entwickelt und umgesetzt um Fehlbeanspruchungen vorzubeugen. Im Rahmen einer Wirksamkeitskontrolle wird anschließend geprüft, ob die Maßnahme auch durchgeführt wurde und die entsprechende Wirkung erzielt hat. Gegebenenfalls muss nachjustiert oder aber eine neue, geeignetere Maßnahme umgesetzt werden, um die Belastungssituation im entsprechenden Tätigkeitsbereich zu optimieren. Die Handlungen müssen dokumentiert und fortgeschrieben werden, sodass sich ein fortwährender Zyklus daraus entwickelt. (Beck, D. et al., 2017, S. 7-15)
Jeder Arbeitgeber hat gemäß § 5 (1) ArbSchG die Pflicht, „durch eine Beurteilung der für die Beschäftigten mit ihrer Arbeit verbundenen Gefährdung zu ermitteln, welche Maßnahmen des Arbeitsschutzes erforderlich sind.“ Eine Gefährdung kann sich insbesondere durch psychische Belastungen bei der Arbeit ergeben (§ 5 (3) Ziffer 6).
Im Arbeitsschutzgesetzt ist nicht festgeschrieben, wann eine Gefährdungsbeurteilung wiederholt werden muss oder wie oft sie in einem Zeitraum durchzuführen ist. Es gibt aber eine Verpflichtung der Fortschreibung.
Eine Fortschreibung ist notwendig, wenn (BAuA, 2020)
- „Gefährdungen in einem Betrieb bisher nicht erkannt wurden“,
- „neue Gefährdungen aufgetreten sind oder auftreten könnten“ oder
- „sich die betrieblichen Gegebenheiten hinsichtlich Sicherheit und Gesundheit verändert haben“.
Anlässen für die Aktualisierung und Fortschreibung können beispielsweise
- das Auftreten hohe Fehlzeiten in einzelnen Tätigkeitsbereichen sein,
- die Anschaffung neuer Arbeitsmittel
- die Umgestaltung von Arbeitsbereichen
- die Änderung von Arbeitsaufgaben, -inhalten oder der Arbeitsorganisation
- bei Änderungen der Arbeitsbedingungen
Da jeder Arbeitgeber gemäß § 5 ArbSchG die Pflicht zur Durchführung hat, muss die Gefährdungsbeurteilung gemacht werden. Das entsprechende Gesetz ist seit 2013 gültig. Der Betriebsrat hat ein Initiativrecht und kann die Durchführung der Gefährdungsbeurteilung verlangen. (BauA 2014, S. 39-41)
Innerhalb der letzten zehn Jahre sind in Unternehmen die Fehltage aufgrund psychischer Erkrankungen um 64,2 % gestiegen (Fehlzeiten Report 2019). Psychische Belastungen können, wie zahlreiche arbeitswissenschaftliche Modelle (Belastungs- und Beanspruchungsmodell nach Walter Rohmert und Joseph Rutenfranz; Anforderungs- Kontroll- Modellnach Robert A. Karasek; Modell beruflicher Gratifikationskrisen nach Johannes Siegrist) zeigen, die Gesundheit gefährden.
Da Arbeitsverdichtung und Arbeitsintensivierung, Multitasking-Anforderungen und Zeitdruck weiterhin zunehmen und viele Beschäftigte psychisch belasten (Fehlzeiten Report 2019), wird die Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung immer wichtiger. Sie ist ein zentrales Instrument des Arbeitsschutzes und dient dazu Gefährdungen für die psychische Gesundheit der Beschäftigten aufzudecken und Schutzmaßnahmen zu entwickeln und umzusetzen, um Fehlbeanspruchungen vorzubeugen.
Eine Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen hat allerdings neben dem Arbeitsschutz und der Gesundheitsförderung noch andere positive Effekte für ein Unternehmen. Sie führt zu Kostenersparnissen und Produktivitätsgewinn. Es werden Schwachstellen, Fehlerquellen und Störfaktoren im Betrieb aufgedeckt und beseitigt. Dies führt nicht nur zur Senkung des Krankenstandes sondern auch zu Leistungssteigerungen. Außerdem ist es eine gesetzliche Pflicht, die Gefährdungsbeurteilung durchzuführen. § 5 Arbeitsschutzgesetz schreibt das für alle Unternehmen vor, es drohen Bußgelder und Schadensersatzansprüche bei Nichtbeachtung. Schließlich kann mit einer Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen eine Qualitäts- und Serviceoffensive einhergehen. Informations- und Kommunikationsprozesse werden verbessert, Rollen, Verantwortlichkeiten und Schnittstellen geklärt. Dies schafft Zufriedenheit und Engagement bei den Mitarbeitern. Zudem kann die Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen zur Attraktivität eines Unternehmens beitragen. Gutes Betriebsklima und gesunde Mitarbeiter steigern die Attraktivität des Unternehmens für Bewerber und senken die Fluktuation bei der Stammbelegschaft.
Psychische Belastungen definieren nach DIN EN ISO 100-75¹ die Gesamtheit aller Einflüsse, die von außen psychisch auf den Menschen einwirken. Arbeitswissenschaftlich ist der Begriff neutral zu verstehen und kann sich bspw. auf Arbeitsaufgabe, Arbeitsinhalt und Arbeitsumgebung oder soziale Beziehungen am Arbeitsplatz beziehen. Je nach individuellen Voraussetzungen, wie z. B. Alter, Coping Strategien, sowie Dauer und Verlauf der Belastungen ergeben sich daraus psychische Beanspruchungen. Diese können anregend, motivierend und leistungssteigernd, aber auch ermüdend und stressend² sein. Bei langfristig negativen Beeinträchtigungen, die als Fehlbeanspruchungen bezeichnet werden, können Fehlzeiten zunehmen, die Leistungsfähigkeit herabgesetzt werden und psychosomatische oder psychischen Störungen auftreten (Joiko, Schmauder & Wolff, 2010, S. 9-13).
¹DIN: Deutsches Institut für Normung, EN: Europäische Norm, ISO: International Organization for Standardization. Diese Norm ist in Deutschland, Europa und weltweit anerkannt (Gabler Wirtschaftslexikon, 2019).
² Stress als negative Beanspruchungsfolge ist „…ein subjektiv intensiv unangenehmer Spannungszustand, der aus der Befürchtung entsteht, dass eine…Situation wahrscheinlich nicht vollständig kontrollierbar ist, deren Vermeidung aber subjektiv wichtig erscheint.“ (Blickle, 2014, S. 519).
Eine Gefährdungsbeurteilung erfasst, wie der Name schon sagt Gefährdungen, also Möglichkeiten eines Schadens oder einer gesundheitlichen Beeinträchtigung, die durch die Arbeit auftreten. Es werden also keine Gefährdungen aus dem privaten Leben erfasst. Auch geht es nicht darum die psychische Beanspruchung, also die Wirkung der Belastung auf einzelne Mitarbeiter zu erfassen, sondern es wird die Belastung durch die Tätigkeit und die Arbeitsbedingungen ermittelt.
Bezüglich des Inhaltes der Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen gibt es Empfehlungen, die im Rahmen der Gemeinsamen Deutschen Arbeitsschutzstrategie (GDA) entstanden sind, insbesondere durch das Arbeitsprogramms „Schutz und Stärkung der Gesundheit bei arbeitsbedingten psychischen Belastungen“ (www.gda-psyche.de). Sie werden durch die bestehenden GDA-Leitlinien ergänzt. Es handelt sich um einen „Korridor“, innerhalb dessen sich die Inhalte bewegen sollten. Die Leitlinie umfasst ein 7-stufiges Vorgehensmodell zur Erstellung einer Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung. In jedem Schritt sind Empfehlungen und Aufgaben enthalten. Jeder dieser Schritte sollte im Rahmen einer Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung durchgegangen, dokumentiert und fortgeschrieben werden.
Für die Überwachung und Aufsicht über die Einhaltung der Vorschriften zum Arbeitsschutzgesetz sorgen Behörden (§ 21 Abs. 1 ArbSchG). Der Arbeitsschutz fällt unter die Zuständigkeit der Bundesländer, so gibt es regional unterschiedliche Behörden. In Niedersachsen sind die Gewerbeaufsichtsämter, in Nordrhein-Westfalen die Arbeitsschutzdezernate der Bezirksregierungen und in Hamburg das Amt für Arbeitsschutz zuständig. Die zuständige Arbeitsschutzbehörde in den anderen Bundesländern finden Sie hier.
Außerdem sind in ganz Deutschland die Unfallversicherungsträger ebenfalls aufgrund der Unfallverhütungsvorschriften (DGUV) für den Arbeitsschutz in ihren Mitgliedsbetrieben zuständig. Somit können auch Berufsgenossenschaften und Unfallkassen die Umsetzung der Gefährdungsbeurteilung in ihren Mitgliedsbetrieben kontrollieren.
Beck, David; Berger, Sonja; Breutmann, Norbert; Fergen, Andrea; Gregersen, Sabine; Morschhäuser, Martina et al. (2017): Empfehlungen zur Umsetzung der Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung. Arbeitsschutz in der Praxis. 3. Aufl. Hg. v. Leitung des GDA-Arbeitsprogramms Psyche. Bundesministerium für Arbeit und Soziales. Berlin (A098). Online verfügbar hier, zuletzt geprüft am 05.08.2019.
Blickle, Gerhard; Schaper, Niclas (2014): Arbeits- und Organisationspsychologie. Heidelberg: Springer (Springer Lehrbuch).
Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (2014): Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung. Erfahrungen und Empfehlungen. Berlin: Erich Schmidt. Online hier verfügbar.
Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (2020): Internetdokument
Fehlzeiten-Report 2019, Badura/Ducki/Schröder/Klose/Meyer (Hrsg.). Schwerpunkt: Digitalisierung – gesundes Arbeiten ermöglichen. Springer-Verlag Berlin Heidelberg, 2019
Joiko, K., Schmauder, M. & Wolff, G. (2010). Psychische Belastung und Beanspruchung im Berufsleben. Erkennen-Gestalten. In Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (Hrsg.), Verfügbar hier [29.07.2019]